Tiger in Tschernobil
In die Berge bin ich gefahren, kilometerweit gewandert, auf einen Gletscher gestiegen, habe fotografiert, unter einem Baum die Stille genossen, gewellnesst, habe mit meinen besten Freunden Pizza gegessen, habe Blut gespendet, bin shoppen gegangen, habe grilliert und Wein getrunken, bin an den Bodensee gefahren, war reiten, habe Serien geguckt bis zum abwinken und dazu Eis gegessen, höre gute Musik, bin bis obenhin vollgepumpt mit homöopatischen Mitteln, und bin immer noch halb am durchstarten wegen morgen!
Ein Tiger im Käfig ist ein Dreck gegen mich wenn ich wegen irgendwas wirklich nervös bin. Und das bin ich jetzt. In genau 12 Stunden und 15 Minuten geht nämlich eine weitere lange Wartezeit in meinem Leben zu Ende. Das Warten, bis ich endlich meinen neuen Job antreten kann.
Warten an sich ist sicher nichts, was ich erfunden hätte. Ich lasse mir lieber Zeit mit der Entscheidung, aber wenn ich mich mal für was entschieden habe, dann würde ich am liebsten mit Lichtgeschwindigkeit auf dieses Ziel hinarbeiten. Tu ich auch, aber unerklärlicherweise scheinen nicht immer alle Leute in meinem Umfeld einzusehen, dass meine Pläne sofort mit allen verfügbaren Kräften in Tat umgesetzt werden müssen. So entstehen dann die für mich höchst unliebsamen Wartezeiten. Die sich manchmal bitterer, manchmal süsser gestalten. Aber eins haben sie alle gemeinsam: ganz am Ende, wenn man sie fast fertig ausgehalten haben, dann werden sie am allerschlimmsten. Bringen mich fast um den Verstand. Und ich werde wie der Tiger im Käfig. Hoch drei.
Nun hatte ich ja in meinem Leben schon die eine oder andere Gelegenheit, mich in Geduld zu üben. Gut, zugegeben, wirklich gefruchtet hat's nicht. ABER ich habe gelernt, der Warterei würdevoll gegenüber zu treten. Wichtigste Regel dabei: Sofort verkriechen, beim kleinsten Anzeichen von ernst zu nehmender Ungeduld. Denn ansonsten stürze ich mein Umfeld in schlimme psychische Krisen.
In meiner Höhle kann ich dann zwischen verschiedenen Optionen wählen, um mich selbst zu beruhigen. Sozusagen zwischen Pamper-yourself (Seriengucken mit Ben & Jerry's Eis) bis hin zur Schocktherapie (Blutspenden).
Nur, heute scheints überhaupt nicht aufzugehen. Das Knallen und Krachen draussen ist auch nicht gerade förderlich, um Ruhe über mich kommen zu lassen. Nichts, aber auch überhaupt gar nix lenkt mich davon ab, dass ich die Hosen gestrichen voll habe. Angst, mich komplett zum Affen zu machen, nicht gut genug zu sein, den Anforderungen nicht zu genügen. Da kann der Kopf noch lange logische Argumente gegen diese Angst bringen, ich dreh trotzdem komplett am Rad.
Nicht, dass ich JEMALS eine Erfahrung gemacht hätte, die diese Angst in irgendeiner Form berechtigt. Nope, alles hat irgendwie immer wunderbar geklappt. Und ich hatte JEDESMAL eine riiiiesen Angst davor. Vor allem, was neu ist. Weil ich in Wahrheit ü-ber-haupt nicht cool bin, sondern ein riesen Schisshas.
Heute ist mir dann so um Mittagszeit ein Lied aufgefallen: gotta work von Amerie. Nicht der trashige Garbage-Sound, den ich in dieser Stimmung so wahnsinnig gern höre, weil man sich danach so stark fühlt wie Robocop. Nein, mehr Soul-Blues mit einer Oma-mässigen Portion Lebensweisheit, die mich kurzum zurück auf den Boden der Tatsachen holte. Jedenfalls Zeitweise. Recht hat sie, die Amerie! Alles kleine Philosophen, diese Sänger, ich staune immer wieder wie die sich ausdrücken können.
Und nun, da mir die liebe Amerie erklärt hat dass es normal ist, solche Tage zu haben, verlasse ich meine Höhle immerhin kurz, und fahre auf einen einsamen Berg, um wenigstens ein paar Feuerwerke mitzukriegen. Um aus den negativen externen Effekte positive zu machen. Vielleicht komm ich danach runter und verstrahle nicht mehr meine ganze Umwelt mit Angst-Partikeln.
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